• 15. Dezember 2023

So viele Geschichten wie noch nie

So viele Geschichten wie noch nie

So viele Geschichten wie noch nie 1024 538 Dr. Buhmann Schule & Akademie in Hannover

Der Schreib­wett­be­werb der Dr. Buhmann Schule & Akademie ist eine lieb gewon­nene Tradi­tion. In diesem Jahr wurden hierbei so viele Kurz­ge­schichten einge­reicht, wie nie zuvor. Bei der Preis­ver­lei­hung zeigten sich einige der Siege­rinnen und Sieger über­rascht, dass sie mit ihren Werken gewinnen konnten.

In Zeiten von ChatGPT und anderen Tools künst­li­cher Intel­li­genz haben viele Schulen ihre Schreib­wett­be­werbe einge­stellt. Nicht so die Dr. Buhmann Schule & Akademie, die auch in diesem Herbst wieder dazu aufrief, kreativ zu werden. Dem folgten mit 24 Schü­le­rinnen, Schü­lern sowie Studie­renden beider Häuser eine Rekord­zahl an einge­reichten Geschichten. Dass Schreiben gerade wegen des KI-Booms ein krea­tiver Umgang dafür sein kann, mit seinen Emotionen umzu­gehen, bewiesen die zwei Dutzend einge­reichten Kurz­ge­schichten eindrucksvoll.

Schul­lei­terin Chris­tina Gallus und die Jury riefen dazu auf, zu den Mottos „Einsam­keit“ oder „Vertrauen“ eigene Werke zu schreiben. Heraus kamen sehr emotio­nale Geschichten, und auch in diesem Jahr war nicht nur der Sieger­text eine Kurz­ge­schichte, die zum Nach­denken anregte. So versam­melten sich die Teil­neh­me­rinnen des Schreib­wett­be­werbs, sowie die Jury und die Lehr­kräfte bei Plätz­chen und Heiß­ge­tränken vor dem Tannen­baum in der Cafe­teria der Prin­zen­straße, um die krea­tiven Werke zu würdigen. Mit dem ersten Platz belohnt wurde Giada Testa mit ihrer Geschichte „Du warst immer da“.

Ergänzt wurde die Jury in diesem Jahr durch die Lehre­rinnen Lena Romahn, Corinna Busch, die ehema­ligen Kolle­ginnen Dr. Mari­anne Wurth und Heike Williams, sowie den ehema­ligen Kultur­re­dak­teur der Hanno­ver­schen Allge­meinen Zeitung Karl-Ludwig Baader.

Folgende Schü­lerin wurde für ihre Gewin­ner­ge­schichte ausgezeichnet:

Giada Testa


Den Sieger­text gibt es hier zum Nachlesen:

Du warst immer da von Giada Testa

 

Du bist ein Teil meiner ganz persön­li­chen Geschichte.

 

Du folgst mir auf Schritt und Tritt. Sag, kommst du heute auch wieder mit?

Ich wusste nicht, dass Leere so viel Raum einnehmen kann, dass Leere so viel Raum braucht und sich diesen einfach nimmt. Ich wusste auch nicht, dass du bleiben würdest, alle sagten, du würdest wieder gehen? Ich hab dich nie einge­laden, doch plötz­lich stan­dest du vor meiner Tür, „hab ich dich ins Haus gelassen?“, fragte ich jämmerlich.

„Hab ich dich herein­ge­beten?“, gab ich kopf­schüt­telnd von mir. Du warst der Stein an meinem Fuß in jener trau­rigen Nacht.

Du hast mir verboten diese Geschichte zu erzählen.

Du hast mich ange­fleht, niemandem davon zu berichten, wie sehr mich diese Nacht zuge­richtet hat.

 

Niemand würde mich verstehen, mein­test du, immer und immer wieder. Niemand würde mir zuhören, sagtest du, immer und immer wieder.

Niemand würde mir glauben, riefst du, immer und immer wieder.

 

Sie würden mich ansehen mit diesen Augen voller Mitleid, ihre Augen­winkel würden erst fallen und sich dann zu einem verkrampften Lächeln verzerren. Gläserne Augen schauen bedrückt auf den Boden und ich wollte nie jemanden traurig machen, deswegen sagte ich:

„Alles gut, ich komm schon klar.“ Deswegen rede ich nicht.

Deswegen rede ich nicht über dich.

Ich muss doch meine „Sonnen­schein-Persön­lich­keit“ verkörpern.

 

Ich war müde, egal wie viel Schlaf ich bekam.

Ich war traurig, egal wie viel ich gelacht habe.

Ich war still, egal wie sehr ich reden wollte.

Ich habe mich selbst belogen, obwohl ich die Wahr­heit wusste.

 

Du lässt mich nie allein, du bist immer da.

 

Ich weiß, es klingt paradox, aber du warst da, als niemand anders da sein konnte.

Deine Leere hat sich richtig ange­fühlt. Aber „pscht“, sagtest du, niemand darf das je erfahren. Du hast mich an die Hand genommen und durch mein Leben geführt, ich weiß gar nicht mehr wie mein Leben war, bevor ich dich kannte. Du warst immer da, auch wenn ich in Gesell­schaft war, ich hab dich einfach mitge­nommen als mein Plus-Eins. Auf jeder Fami­li­en­feier, auf jedem Treffen mit Freunden warst du dabei. Viel­leicht sollte ich dir dankbar sein?

 

Du lässt mich nie allein, du bist immer da.

 

Ich glaube, ich muss 15 Jahre alt gewesen sein, zitier mich nicht, ich hab viel verdrängt. Ich habe dich im Kran­ken­haus kennen­ge­lernt, zwischen flackernden Lampen, die seit Jahren repa­riert werden sollten, dem Geruch von Desin­fek­ti­ons­mittel, welches mir irgend­wann noch die Nase wegge­ätzt hätte, und trau­rigen Gesich­tern. Vielen trau­rigen Gesichtern.

Meins war auch traurig. Mir war schlecht. Mir war schwin­delig. Ich wollte rennen. Ich wollte schreien. Doch ich war still. Da haben Menschen ange­fangen, mich mitleidig anzu­gu­cken, mich in den Arm zu nehmen und anzu­lügen. Sie sagten, es wird alles wieder gut. Aber nichts ist je wieder gut geworden. Du hast mich nie allein gelassen, du warst immer da, du hast nie gelogen.

Den Kaffee aus dem defekten Auto­maten hab ich nicht anrühren können. Ich war sowieso hell­wach, denn mein Körper hatte verlernt zu schlafen. Ich kann mich an kein Gespräch erin­nern aus dieser Zeit, außer an die mit dir. Ich kann mich aber an die Blicke erin­nern, sie brennen immer noch auf meiner Haut. Ich frag mich, ob man sehen konnte, dass ich dich kennen­ge­lernt hatte. Ich denke, man hätte es sehen müssen. Ich denke, sie wollten es nur nicht sehen. Meine Familie wollte es nicht sehen. Meine Freunde wollten es nicht sehen.

 

Ich glaube, ich muss 18 Jahre alt gewesen sein, zitier mich nicht, ich hab viel verdrängt. Du hast mich auf der Fahrt ins selbe Kran­ken­haus begleitet, zwischen grellen Auto­lich­tern, die ihr Fern­licht zu spät abblen­deten, dem Geruch von kalter Nacht­luft, weil wir den langen Umweg fahren mussten, und nassen Augen. Vielen nassen Augen. Meine waren auch nass, aber ich musste mich zurück­halten, sonst hätte ich die Straße nicht mehr gesehen. Sonst wäre ich noch gegen einen Baum gefahren, wie du vermutet hattest. Du hast mich ange­schaut und ein Blick hat gereicht. Mir war schlecht. Mir war schwin­delig. Ich wollte rennen. Ich wollte schreien. Ich habe geschrien. Mich haben Menschen wieder so ange­sehen und du wuss­test, die Bilder würden mir wieder nicht aus dem Kopf gehen. Sie sagten, es wird alles wieder gut. Aber nichts ist je wieder gut geworden. Du hast mich nie allein gelassen, du warst immer da, du hast nie gelogen.

 

Sie war so stark für viel zu lang. Sie war eigent­lich immer da. Sie hat mich nie allein gelassen. Sie hat mich nie ange­logen, bis auf dieses eine Mal. Du hast die Lücke versucht zu füllen.

 

Du bist gekommen und nie mehr gegangen.

Du bist gekommen, als sie von uns gegangen ist.

 

Du bist die Einsam­keit. Sie ist meine Mutter.

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