• 11. Dezember 2017

Gewin­nerin über­zeugt durch „Grinsen“

Gewin­nerin über­zeugt durch „Grinsen“

Gewin­nerin über­zeugt durch „Grinsen“ 1024 683 Dr. Buhmann Schule & Akademie in Hannover

Dass man durch Grinsen einen Schreib­wett­be­werb gewinnt, kommt nur selten vor. Doch die Siegerin des dies­jäh­rigen Wett­be­werbs der Dr. Buhmann Schule bewies das Gegen­teil – wenn­gleich es nicht ihr eigenes Grinsen, sondern der Titel ihrer Kurz­ge­schichte war.
Mit einer Kurz­ge­schichte den Nerv des Lesers zu packen, Span­nung aufzu­bauen und ihn in eine andere Welt mitreißen, das ist die Heraus­for­de­rung, vor der die Teil­nehmer des Schreib­wett­be­werbs Jahr für Jahr stehen. Zur Teil­nahme aufge­rufen waren alle Teil­nehmer der Fach­ober­schulen und Berufs­fach­schulen. Als Themen standen in diesem Jahr „abgefahr’n“ oder „Träume“ zur Auswahl. Und die einge­reichten Geschichten machten es der Jury nicht leicht. Zwei Studie­rende der Dr. Buhmann Akademie saßen mit Schul­lei­terin Chris­tina Gallus und einer der Initia­to­rinnen des Wett­be­werbs, Dr. Mari­anne Wurth, zusammen. Ergänzt wurde die Jury durch Karl-Ludwig Baader, ehema­liger Kultur­re­dak­teur der Hanno­ver­schen Allge­meinen Zeitung. Bei der Preis­ver­lei­hung am 7. Dezember erhielten alle Hobby-Autoren eine Urkunde, die besten drei Texte wurden darüber hinaus mit Geld­preisen prämiert.

Der Sieger­text von Paulina Brand handelt von einer unheim­li­chen Begeg­nung auf dem Heimweg. Die Autorin schaffte es mit ihrer Kurz­ge­schichte und dem offenen Ende, die Jury zu fesseln. Inspi­rieren ließ sich Brand dabei von ihrer eigenen Schreck­haf­tig­keit, wie sie berichtete.

Der Sieger­text: „Das Grinsen“ von Paulina Brand:

Schritt für Schritt, mit jedem Schritt geh‘ ich immer schneller. Ich kenn‘ den Weg ganz genau. Nur noch zweimal links, danach gera­deaus und zum Schluss nach rechts. Es ist ein Katzen­sprung. Nur noch ein paar Straßen, dann bin ich im Warmen und im Sicheren.

Es ist eine kalte und klare Nacht. Ich spiele mit meinem Atem, den man vor Kälte schon sieht. Bin schon spät dran, hoffent­lich bekomme ich keinen Ärger. Hätte doch schon längst zuhause sein sollen! Irgend­etwas raschelt im Gebüsch, es ist bestimmt nur ein Kater, der um seine Liebste kämpft.

Plötz­lich springt der Motor von einem Auto an, das neben mir parkt. Ich erschreck‘ mich und zucke zusammen. Der Auto­fahrer belä­chelt mich. Rot ange­laufen und mit gesenktem Blick, lauf‘ ich weiter in meinem schnellen Schritttempo.

Das Rascheln, der Kater, der um seine Liebste kämpft, wird lauter. Ich hab‘ ein mulmiges Gefühl. Etwas verfolgt mich. Ich kann es nicht sehen oder hören. Jemand beob­achtet mich.
Nur noch gera­deaus und nach rechts. Dann bin ich im Warmen und im Sicheren. Der Akku von meinem Handy ist leer. Ich hätte anrufen sollen, dass ich mich verspäte. Das Gefühl, beob­achtet und verfolgt zu werden, wird immer inten­siver. Nur noch rechts, dann hab‘ ich es geschafft. Die Häuser, an denen ich entlang laufe, kenn‘ ich. In diesen wohnt ein netter, alter Mann. Ich mag ihn, er schenkt mir jedes Jahr zu Weih­nachten einen Niko­laus aus Schokolade.

Jemand ist ganz nah an mir. Ich kann ihn nicht sehen oder hören. Ich mache leise Schritte. Schritt für Schritt und Schritt für Schritt. Mein Herz rast so sehr, dass es jeden Moment aus meiner Brust schießt. Es raschelt neben mir im Busch. Ich renne, ohne nach links oder rechts zu schauen. Vor Anstren­gung schmerzt mir meine Brust. Ich renne und renne, ohne nach hinten zu schauen. Das Geräusch wird leiser. Nur noch ein paar Häuser. Dann bin ich im Warmen und Sicheren. Schritt für Schritt und Schritt für Schritt.

Ich riskiere einen Blick nach hinten, um mir sicher zu sein, dass ich nicht verfolgt werde. Niemand zu sehen. Ich komme mir dumm vor. Langsam blicke ich wieder nach vorne. Ich schau‘ gera­deaus, da starrt mich ein Mann mit einem breiten Grinsen an. Seine Augen sind weit aufge­rissen. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Körper ist steif vor Angst. Er schaut mich an. Er schweigt. In diesem Moment schlägt er mit seiner harten Faust in mein Gesicht. Ich sehe schwarz.

Hyste­risch und verschwitzt wach‘ ich auf in meinem Bett.
Es war nur ein Traum.

Erleich­tert lasse ich mich wieder in meinem Bett fallen. „Ich bin im Warmen und im Sicheren“, sage ich mir immer und immer wieder.

Es klin­gelt an der Tür. Genervt geh‘ ich runter. Es ist niemand zuhause. Ich mache die Tür auf.
Da steht er! Völlig lebendig, mit seinem breiten Grinsen und mit den weit aufge­ris­senen Augen. Er schweigt.

 

2. Platz: „Im Auge des Betrach­ters“ von Sophie Lüdersdorff:

Ich stehe in einem weißen Raum. Ich schaue mich um. Überall der gleiche Farbton, glatte, kalte Wände. Es ist eine einschüch­ternde Leere. Plötz­lich sehe ich, wiesich an einer Stelle der weißen Wand etwas Gewelltes hervor­hebt. Ein weißer Vorhang. Ich ziehe ihn schwung­voll zur Seite und erblicke ein kleines Fenster. Erschro­cken falle ich zurück, denn auf der anderen Seite stehen graue Gestalten. Ich kann nicht ausma­chen, wie viele es sind. Sie stehen so eng, dass ich kaum die äußere Welt sehen kann. Ihre langen schat­ten­ar­tigen Körper drängen sich an das Glas. Nur ihre großen, weißen Augen, die fast leuchten, dringen in mich ein und ich schau­dere. Sie ziehen mich in ihren Bann und ich kann mich kaum von ihnen abwenden. Schnell schaue ich auf den Boden. Fast hatte ichdas Gefühl, sie könnten in meine Seele blicken. Da bemerke ich plötz­lich, dass ich einen Pinsel in der Hand halte. Ich kenne diesen Raum nicht, ich kenne dieses Fenster nicht und ich kenne diese Gestalten nicht. Ich weiß nicht, was sich hinter dem Fenster für eine Welt verbirgt und ich weiß nicht, woher ich diesen Pinsel habe. Trotzdem weiß ich, was ich zu tun hab.

Ich setze den Pinsel an eine Wand und ziehe einen Strich. Er malt die Farbe, die ich mir wünsche. Mich packt die Krea­ti­vität und ich male weitere Striche. Ich habe so viele Ideen und ich setze sie um. Der ganze Raum ist meine Lein­wand. Plötz­lich höre ich leise Zische und ich blicke zu dem Fenster. Das Getu­schel macht mich wahn­sinnig. Ich versuche weiter zu malen.

Eine Ewig­keit vergeht und ich habe den ganzen weißen Raum bemalt. Ich setze mich und ich kann nicht anders als zu lächeln. Dann höre ich die abwer­tenden Kommen­tare. Ich blicke ängst­lich zu dem Fenster rüber. Die Gestalten heben ihre langen, dünnen Finger und fuch­teln umher. Sie zeigen mir all die Stellen, die etwas zu dunkel oder zu hell, zu einfach, zu wirr, zu häss­lich sind. Ich erkenne ihre Kritik und ich schäme mich für mein Werk.

Dann drehe ich mich um und da ist plötz­lich eine Tür, die vorher nicht da war. Aufge­regt gehe ich auf sie zu. Ich öffne sie, ohne mich nochmal nach meinem stun­den­langen Werk umzusehen.

Wieder einmal stehe ich in einem weißen Raum. Er scheint größer geworden zu sein. Das Fenster und meine Schat­ten­freunde sind auch wieder da. In meiner Hand ist der Pinsel, er scheint nicht größer geworden zu sein. Ich gehe auf eine der vier Wände zu und setze den Pinsel auf. Ängst­lich schaue ich kurz über meine Schulter zum Fenster. Die Blicke der

Gestalten bohren sich in mein Gehirn. Ich fange an zu malen. Wieder einmal spüre ich einen Schub an Energie und ich kann die Vision des Kunst­werkes, welches ich im Kopf habe, umsetzen. Ich blicke erneut zum Fenster. Lachen. Sie machen sich über mein Werk lustig. Sie sagen mir, was sie anders gemacht hätten. Sie sagen mir, was sie sehen wollen, was ihnen gefallen würde. Ich nicke beschämt und sehe, dass eine weitere Tür erschienen ist. Ich gehe hindurch und wieder stehe ich in einem weißen Raum. Alles scheint wieder gewachsen zu sein. Der Raum, das Fenster und die Schatten. Oder bin ich kleiner geworden?

Der Prozess des Gestal­tens, der brutalen Kritik und des Weiter­ge­hens, wieder­holt sich unzäh­lige Male. Jedes Mal werde ich kleiner. Jedes Mal brauche ich mehr Zeit, den Raum zu füllen, damit eine neue Tür erscheint.

Ich werde müde und das selbst­ge­fäl­lige Lächeln der Gestalten macht mich immer mehr wütend. Die Liste der Dinge, die sie stört, hört nie auf. Ich versuche, an alles zu denken. An die ganze Kritik. Ich sage mir immer wieder, was ich nicht malen darf, was nicht gut ankommt. Ich werde wahn­sinnig. Ich versuche, es ihnen Recht zu machen. Viel­leicht kommt dann endlich die Tür, die mich nach draußen führt.

Während ich an einer neuen Wand male, werden die Stimmen immer lauter, sie schreien schon fast. Ihre wider­sprüch­li­chen Aussagen veran­kern sich in meinem Gehirn und ich drehe mich ruck­artig um. Was wollt ihr? Frage ich mich. Was soll ich tun? Einer will mehr bunte, schrille Farben. Der Andere schwarze und weiße. Ich versuche mit ihnen zu reden, aber es hört keiner zu. Verzwei­felt schrei ich ihnen zu und hämmere an die Scheibe. Sie machen den Eindruck, als könnten sie mich nicht hören. Oder sie igno­rieren mich. Zudem bin ich schon so klein,dass ich kaum noch an das Fenster rankomme. Ich brauche unend­lich lange, um den ganzen Raum zu bemalen. Mich verlässt die Krea­ti­vität, die Energie. Depri­miert setze ich mich auf den Boden. Der Raum ist nicht mal ansatz­weise fertig, aber plötz­lich sehe ich, dass sich eine neue Tür gebildet hat. Verwirrt schaue ich nochmal zum Fenster. Meine Kritiker machen keinen Anschein, mit ihren Vorwürfen aufzu­hören. Ich gehe entschlossen auf die Tür zu und reiße sie auf. Ich erwarte einen neuen weißen Raum. Ich erwarte, so klein zu sein wie eine Münze, und ich erwarte, dass die Gestalten aus ihrem Fenster auf mich zugleiten und dass ihre schweren Worte mich erdrü­cken. Aber es fällt kein weißes kaltes Licht der Wände auf mich, sondern ein buntes warmes. Erstaunt bemerke ich, dass ich mitten in meinem ersten Raum stehe. Mein erstes Kunst­werk. Ich blicke erneut auf meine wirren Linien und bunten Formen und Muster. Trotz des unvor­her­ge­se­henen Wandels ist das Fenster mit den Gestalten noch da und sie

nörgeln noch immer. Plötz­lich packt mich ein Gefühl. Ein Gedanke. Als ich mich so umsehe, in dem Raum, wo alles begann, erkenne ich: es ist perfekt. Das bin ich. Ich bin stolz. Ohne großen Aufwand blende ich die Stimmen aus.

Ich merke, wie sich etwas verän­dert in mir. Plötz­lich werden der Raum, das Fenster und die Gestalten kleiner. Ich wachse. Doch ich höre nicht auf zu wachsen. Ich fühle mich kräf­tiger und kräf­tiger. Eine Wut auf die Gestalten brennt in meinem Bauch. Meine Hände können schon beide gegen­über­lie­gende Seiten des Raumes berühren und ich muss mich bücken, damit ich mir nicht den Kopf an der Decke stoße. Ich wachse weiter. Ich blicke zu dem jetzt winzigen Fenster und den winzigen Gestalten. Sie sind still und blicken zu mir auf. Es ist ein gutes Gefühl. Ich fühle mich mächtig.

Mein Körper füllt nun den ganzen Raum aus, doch ich höre nicht auf. Ich wachse weiter. Der Raum dehnt sich. Unter Anstren­gung versuche ich die Wände zu durch­bre­chen. Endlich geben sie nach. Wie eine kleine Explo­sion zerbricht der Raum und ich spüreden Wind und die Sonnen­strahlen auf meiner Haut. Ich blicke runter zu den Gestalten. Sie zittern vor Angst. Sie scheinen nicht mehr über mich zu lachen. Ich grinse und halte meinen Fuß über sie. Ein kleiner Tritt und sie sind weg. Für immer. Sie würden niemanden mehr unter­drü­cken. Doch ich blicke in ihre leeren Augen. Sie sind so voller Verzweif­lung. Ich erkenne mich in ihnen wieder. Ich blicke auf und gehe kommen­tarlos an ihnen vorbei. Die Sonne blendet mich, ich hole tief Luft und schließe die Augen.

Als ich meinen Weg weiter gehe, frage ich mich, wieso ich nicht einfach den Vorhang wieder zuge­zogen habe.

 

3. Platz: „We Are All Just a Little Bit Broken“ von Tim Bölke:

Stille. Leere. Einsam­keit. Wo ist alles hin verschwunden? Wo ist die Wärme? Wo bin ich? Wo ist wo? Es zieht am ganzen Körper, dieser Druck. Zu rennen, zu schreien, zu leben. Als würde ein Vulkan in mir explo­dieren. Warum? Warum fühlt sich alles so seltsam an? So seltsam neu. Unge­wohnt neu. Aber irgendwie bekannt. Es ist so kompli­ziert, hier zu sein. Zu sagen, es wäre nicht so, wäre die Unter­trei­bung des Jahres. Obwohl nein, wäre es nicht. Oder etwa doch? Was wäre, wenn? Was wäre, wenn es so wäre, wie es ist? Dann wäre es real. Aber nie ist etwas so, wie es sein sollte… Also ist es nicht real? Ich bin nicht real? Was denke ich da?

Diese Angst. Dieser Schmerz. Verfol­gung. Stopp, ich werde nicht verfolgt! Atmen. Tief einatmen. Gut, genau so. Ich bin hier sicher… Wo ist hier? Ist hier da? Ist das hier real? Nein, nein Stopp! Denk nach, los komm, schneller. Du kannst das. Augen öffnen. Ja, das ist der Schlüssel. Vertraue auf deine Sinne. Verdräng die Gedanken. Nur ein Stück öffnen. Nur ein ganz kleines Stück öffnen. Es ist grell. Es ist weiß. Ist Weiß eine Farbe oder ein Kontrast? Stopp, das ist nicht von Bedeu­tung. Nochmal neu denken. Ausnahmslos alles ist weiß, grell, still, leer und trotzdem bin ich gefangen. Wo ist die Frei­heit? Die Einsam­keit zehrt an mir. Es ist kalt. Das grelle Weiß gefriert in den Augen. Eintönig, wie alles. Gelang­weilt starrt es mich an. Es wartet. Aber auf was? Will es mir noch mehr Schaden zufügen? Egal, es ist lang­weilig. Ich bin besser. Aufrichten. An Stärke gewinnen. Du bist nicht schwach. Zeig es allen. Zeig es ihnen. Steh endlich auf. Diese Polster an den Händen. Sie sind weich. Sie sind geschmeidig. Gummi­artig. Aber man spürt, dass sie weiß sind. Sie warten auch. Sie sind böse. Wie sie. Wie wurden sie nochmal genannt? Mitmen­schen? Feinde? Auch, aber wie war das letzte? Ge-? Gese-? Gesellschaft!

Kein Ausgang, kein Eingang. Auch von hier oben, wo ich jetzt bin, gibt es keine Verän­de­rung. Ich bin wirk­lich einge­sperrt. In die Ecke gezwungen. Ich bin nicht verrückt! Ich hab hier alles unter Kontrolle. Ich halte hier die Fäden in der Hand. Ich bin keine Mario­nette. Nicht hier… Sie haben es wieder geschafft. Auf dem Boden war es sicherer. Sicherer als wo? Es ist auch hier oben sicher. Aber sie sind überall. Ich sehe sie nicht, aber ich spüre sie. Wie der Bass in einem Lied lassen ihre Aussagen meinen Körper schwingen. Ihre Stimmen hallen weiter. Warte, ich höre was anderes. Diese Stimme, ich kenne sie. Wo kommt sie her? Sie ist so nah und doch so fern. Ich lausche. Sie liegt falsch. Nein, ich bin nicht durstig. Ich bin hungrig. Ehrgeizig. Aber am

Verhun­gern. Hungrig auf das, was man mir schon immer verwei­gerte. Ich wollte damals mehr. Jetzt will ich noch mehr. Mehr von allem. Ruhm. Ehre. Gerech­tig­keit. Meinen Hunger stillen. Aber wie sollte ich es schaffen? Wenn ich es nie hatte, wahr­schein­lich auch nie kriege? Warum konnte ich es nie haben? Warum verwei­gerte man mir es? Warum mache ich mir darüber Gedanken? Neusor­tieren. Alles neu sortieren. Diese Gedanken, der Hass auf das Weiß. Nein, er muss weg. Nur einen kleinen Moment. Mehr brauche ich gar nicht. Ein kurzen Moment Stille. Stille in mir. Sie redet weiter. Diese Stimme. Ich kann mir die Ohren zuhalten, es bringt nichts. Es schmerzt, dieser Klang schmerzt. Ich breche auf die Knie zusammen. Nein, bleib stehen. Du bist stark. Du bist konstant. Du kannst weinen und schreien, aber bleib stehen. Nur einmal. Nur dieses Mal. Diese Tränen voller Schmerzen. Sie sind vor meinen Augen. Sie schmerzen. Aber sie lassen mich verstehen.

Ich bin da. Ich hab es geschafft. Leg die Angst ab. Leg den Schmerz ab. Schalte diese Stimme aus. Ich war geblendet. Bis jetzt. Der Blick wird klar. Kris­tall­klar. Das Trauern hat ein Ende. Endlich. Ich bin am Ziel. Eine letzte Träne prallt auf den Boden. Eine Träne voller Glück. Es ist alles, was ich wollte. Stille. Leere. Einsam­keit. Alles um mich herum. Ohne Wärme, aber trotzdem aufge­fangen bei der Sicher­heit. Ich lag falsch. All diese Aussagen, all diese Lügen, alles war falsch. Ich hatte meine innere Stimme verloren. Ich war nicht ich selbst. Bin ich deshalb hier? An diesem Ort. So steril und leer. Wo auch immer das ist… Um diesen Hass abzu­legen. Aber was ist passiert? Was musste passieren, damit ich hier ende?

Es kommt alles zurück. Flash­backs. Erin­ne­rung. Ich war ein Schein­werfer. Ich war so hell, so grell wie das Weiß, was mich umgibt. Nein, sogar greller. Ich konnte in der Dunkel­heit sehen. Ich brauchte niemand anderen. Ich war wie eine Rakete, die auf die Sterne zeigte. Bereit, alles auf ihrem Weg zu erkunden. Ich war wunder­voll. Ich „war“? Was bin ich jetzt? Bin ich nicht mehr wunder­voll? Warte, etwas stimmt nicht. Warum muss mich dieses gelang­weilte, grelle Weiß erhellen? Warum kann ich es nicht mehr alleine? Habe ich von dem verbo­tenen Apfel gegessen? Habe ich dem Falschen meine Wahr­heit gegeben?

Ich hab mich entmu­tigen lassen. Ich hab mir meine innere Stimme nehmen lassen. Sie ist verstummt. Wo ist mein Ehrgeiz? Ist er weg? Nein, er wurde mir genommen. Mit der Chance auf Ruhm, auf Ehre und Gerech­tig­keit. Von ihnen. Der Allge­mein­heit. Sie sagten, sie hätten die Antworten. Antworten für mich. Aber ich will sie nicht mehr. Diese

Antworten, sie passen nicht zu meinen Fragen. Diese Antworten, sie nahmen mein Licht. Nein, es waren keine Antworten. Es war Schmerz, den sie mir gaben. Schmerz, der mich schwach machte. Verletzbar. Zu einem Außen­seiter. Hinter jedem gespro­chenen Wort und jedem geschrie­benen Satz ihrer Antworten war eine Bedeu­tung. Eine Bedeu­tung gegen mich. Sie haben mich immer mehr gebro­chen. Es war Feuer, mit dem sie spielten. Und ich war wie eine Motte, ange­zogen von den Flammen. Aber ich erkenne jetzt, wer ich war. Ich sehe mein altes Ich vor mir. Wie in einem Spiegel. Bin ich nun gerettet? Nein, die Wunden lassen sich nicht mehr verschließen. Es ist zu spät. Ich habe zu viel Blut verloren. Wie alle anderen. All diese Außenseiter.

Ich erkenne diesen Ort. Er ist nicht seltsam und nicht neu. Ich kenne all dies. Dieses Weiß. Es ist vertraut. Es ist Vertrauen. Aber… Es scheint nicht mehr aus mir… Nur noch auf mich. Ich habe kein Vertrauen mehr zu mir. Kein Vertrauen in mir. Kein Vertrauen zu anderen. Das Weiß ist nicht kalt, ich bin es. Das Weiß ist die Sicher­heit, die mich auffängt. Es sind die Anderen. Die nicht geblendet wurden. Die Über­le­benden. Sie schützen mich, denn ich kann es nicht mehr. Denn ich bin nicht stark, ich bin nicht konstant. Ich bin gefallen. Ich kann mir nicht mehr selbst helfen. Ich bin der Schatten meiner selbst. Ich bin nicht mehr ich. Die Freude wird zur Trauer. Jede Träne ist ein Beweis. Ich kann sie wegwi­schen, so oft ich will, aber sie kommen wieder. Immer wieder. Das Verlangen schwindet. Das Verlangen nach Leben. Nach Rennen und Schreien. Der Schmerz zieht an. Er zwingt mich auf die Knie. Das dunkel­rote Blut aus den Wunden tropft an meinen Händen herunter und mischt sich mit den Tränen. Es fängt an, sich zu drehen. Alles. Ein durch­drin­gender Schmerz füllt mich aus. Ich kann mich nicht wehren. Das Ende naht, ich spüre es. Wie alle vor mir es spürten. Keiner wird die Bedeu­tungen erkennen, die ich in all meinen Worten hinter­lassen habe. Aber ich hoffe, eines Tages, wenn sie aufwa­chen, werden sie mich vermissen. Ich hoffe, sie werden dann wahn­sinnig, wenn im selben Moment ihre Welt zusam­men­bricht. Aber wenn sie ihren Fehler bemerken, bin ich nicht mehr da. Ich kann nicht immer vor und zurück. Nein, ich habe zu viel gelitten. Zu viel Blut verloren. Meine Lunge füllt sich mit dem Gemisch aus Tränen und Blut. Ich japse nach Luft, verge­bens. Ich ertrinke, die Luft bleibt weg.

Ein kurzer Schrei und ich sitze aufrecht im Bett. Schweiß­ge­badet. Das Mond­licht erleuchtet das Zimmer. Mein Schatten wird an die Wand geworfen. Für einen Moment fühlt es sich an, als ob die Zeit anhalten würde. Ängst­lich fasse ich mir an die Brust.

Mein Herz, es rast. Aber ich bin real. Es war nur ein Traum. Ein Alptraum. Und er wird mich immer wieder an mein Leiden erin­nern. Meine Wunden, die ich vor der Welt verstecke. Aber hier bin ich alleine. Nur ich und mein Schatten. Keine ihrer Antworten, die mich erblinden lassen. Ich beiße mir auf die Unter­lippe, um die Tränen zu unter­drü­cken, die langsam in mir aufsteigen. Für einen Moment bleibe ich noch im Bett sitzen, bevor ich mich vorsichtig zurück­lehne und mit der Hand über mein Gesicht wandere. Noch einmal atme ich tief ein. Schließe langsam die Augen. Lasse meine Gedanken kreisen, während ich den Träumen nahe bin… Wir alle haben eine Geschichte… Wir alle suchen nach den passenden Antworten… Wir alle waren zu nah an den Flammen… Wir alle haben Wunden… Wir sind alle nur ein biss­chen kaputt…

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