• 7. Dezember 2018

Von „Mayday“ bis „Apfel­saft“: Gewinner des Schreib­wett­be­werbs ausgezeichnet

Von „Mayday“ bis „Apfel­saft“: Gewinner des Schreib­wett­be­werbs ausgezeichnet

Von „Mayday“ bis „Apfel­saft“: Gewinner des Schreib­wett­be­werbs ausgezeichnet 1024 768 Dr. Buhmann Schule & Akademie in Hannover

Bei der Preis­ver­lei­hung des dies­jäh­rigen Schreib­wett­be­werbs der Fach­ober­schüler und Berufs­fach­schüler wurden die besten drei Kurz­ge­schichten prämiert. Die Gewin­nerin begeis­tert die Jury mit „Apfel­saft“.

Insge­samt 14 Schü­le­rinnen und Schüler nahmen diesmal am jähr­lich statt­fin­denden Schreib­wett­be­werb der Dr. Buhmann Schule teil. Bei der zur festen Tradi­tion Anfang Dezember entwi­ckelten Sieger­eh­rung wurden die drei Sieger­texte von Schul­lei­terin Chris­tina Gallus prämiert und allen Teil­nehmer mit einer Scho­ko­eule gedankt.

Die Jury bildeten – wie bereits in den Jahren zuvor – Karl-Ludwig Baader, ehema­liger Kultur­re­dak­teur der „Hanno­ver­schen Allge­meinen Zeitung“, Schul­lei­terin Chris­tina Gallus, Lehrerin Dr. Mari­anne Wurth sowie Manon Mark und Lucy Turan, Studie­rende an der Dr. Buhmann Akademie. Die Juroren entschieden sich am Ende für die Gewin­ner­ge­schichten „Mayday“ (Tim Bölke, Platz 3), „Der verflixte Tag“ (Lars Holm, Platz 2) sowie „Apfel­saft“ (Lena Dübrock, Platz 1). Die drei Erst­plat­zierten erhielten neben einer Urkunde Geldpreise.

Der Gewin­ner­text „Apfel­saft“ von Lena Dübrock:

Ich sollte eigent­lich langsam aufstehen und mich für die Schule fertig machen. Statt­dessen liege ich rück­lings auf meinem Bett, den Kopf auf meinen Stapel flau­schiger Kissen abge­legt, von denen meine Oma mir jedes Jahr aufs Neue eines zum Geburtstag schenkt (wobei Titus immer sagt, sie müsste einen ganzen Vorrat davon auf ihrem Dach­boden verste­cken, denn mitt­ler­weile sollte diese Plüsch­mu­ni­tion doch längst ausver­kauft sein) und starre auf den Umschlag in meinen Händen.

Mein Name wurde fein­säu­ber­lich auf das weiße Kuvert geschrieben und wirkt eher so, als wäre es von irgend­einer über­großen Wich­tig­keit, doch da mir beim besten Willen nicht einfallen will, woher genau dieser Umschlag kommt, belasse ich es einfach bei der Tatsache, dass ich einfach nicht weiß, von wem ich diese Hand­schrift kenne. Sie kommt mir bekannt vor, keine Frage, doch von wem genau und zu welchem Zweck mein Name dort so sauber steht, ist mir noch unbekannt.

Denn der Umschlag ist noch geschlossen.

Bis eben gerade war ich mir nicht einmal bewusst, dass dieser Umschlag über­haupt exis­tiert, geschweige denn, dass er auf meinem Nacht­schrank lag, bis ich ihn mit voller Wucht, in der Absicht, eigent­lich den Wecker zu treffen, auf den Boden gefegt hatte. Doch je länger ich den Umschlag anstarre, umso suspekter wird mir seine Exis­tenz. Heut­zu­tage schreibt doch keiner mehr Briefe, und irgendein wich­tiges Schreiben, von irgendwem, erwarte ich eben­falls nicht, zumal mein Name dann wohl kaum einfach dort auf dem Umschlag stehen würde. So ohne Adresse, Absender oder sonst was. Er steht einfach da.

ENEA.

Ein einzelner Name, mit blauer Tinte geschrieben, auf dem sonst komplett weißen Umschlag.

Bevor ich jedoch dazu komme, ihn doch zu öffnen, vibriert mein Handy neben meinem Stapel aus Kissen. Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an diesen Brief zu verschwenden, lege ich ihn wieder zurück auf meinen Nacht­schrank und greife nach meinem Handy. Das Display ist mit dem Vibrieren ange­gangen und die Nach­richt meines besten Freundes Titus bedeckt nun mein Hinter­grund­bild, das Titus und mich beim Schul­fest vor einer Woche zeigt. Lachend auf einem der Schul­ti­sche stehend, in dem Versuch, mit unseren Händen ein Herz zur Kamera zu formen.

Stehst du heute noch auf, oder soll ich hier warten, bis der nächste Meteorit einschlägt und diesmal nicht nur die halbe Arbeit verrichtet?

Mist. In meiner Über­le­gung, woher dieser Brief wohl kommen mag, hab ich gar nicht mehr auf die Zeit geachtet.

Schnell, ohne allzu laut zu poltern, da meine kleine Schwester nebenan noch schlafen könnte, hechte ich vom Bett auf, schmeiße dabei natür­lich ein paar Plüsch­bomben zu Boden, die zum Glück keine zu lauten Geräu­sche von sich geben, und ziehe mir die nächst­besten Sachen aus meinem, für mich viel zu spär­lich bestückten, Klei­der­schrank an. Danach schul­tere ich meinen Ruck­sack, den ich vorsichts­halber sogar schon gestern Abend gepackt hatte, und öffne, genauso leise wie meine Aktionen eben, die Zimmertür und spähe hinaus auf den Flur.

Das Erste, was mir auffällt, ist das Licht, das aus der Küche in den Flur scheint. Eigent­lich sollten meine Eltern, wie meine kleine Schwester auch, noch schlafen, da beide eine Stunde später als ich zur Schule, zur Arbeit müssen. Doch aus irgend­einem Grund scheint einer der beiden schon wach zu sein.

Etwas miss­trau­isch, was denn heute so anders als sonst ist, schleiche ich den Flur entlang Rich­tung Küche und sehe langsam in den offenen Bereich.

Meine Mutter sitzt einge­sunken auf ihrem übli­chen Platz in der Küche und hat beide Hände um eine Tasse mit irgend­einem damp­fenden Getränk gelegt, als würde sie versu­chen, die Kälte so aus ihren Fingern zu vertreiben. Ihre Haare hängen unge­wa­schen in leichten Locken über ihre Schul­tern und ihre gesamte Haltung wirkt eher so, als hätte sie mehrere Tage nicht schlafen können und ebenso alles andere in ihrem Leben vernach­läs­sigt, wie duschen oder etwas essen.

Ich kann nicht verbergen, wie erschro­cken ich über ihren Anblick bin, und mache anschei­nend mit meinem lauten  Aufatmen auf mich aufmerksam, da meine Mutter in dem Moment, wo mir alle mögli­chen Gedanken durch den Kopf schießen, was ich bei ihr verpasst haben könnte, den Kopf hebt und mich erst über­rascht, dann jedoch langsam immer besorgter ansieht.

„Enea?“

Ihre Stimme klingt kratzig, wie als hätte sie sie mehrere Tage nicht benutzt, und ihre Augen spre­chen Bände. Sehen mich so an, als wäre ich ein Geist, der gerade vor ihren Augen aus der Unter­welt empor­ge­stiegen ist. Irgendwas an ihrem Anblick, der Art, wie sie mich ansieht, und der Tatsache, dass sie so klingt, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass ich über­haupt aufstehen würde, lösen in mir plötz­lich ein beklem­mendes Gefühl aus. Ein Gefühl, das mir sagt, dass meine Mutter mich defi­nitiv nicht so ansehen würde, wenn nicht irgend­etwas anders wäre.

Meine Verwir­rung kann man mir wahr­schein­lich von meinem Gesicht ablesen, denn kaum hat sie meinen Namen ausge­spro­chen und mich ein paar weitere Wimpern­schläge ange­sehen, scheint ihr aufzu­fallen, dass ich nicht ganz hinterherkomme.

„Du bist aufgestanden…“

Das ist eine Fest­stel­lung. Keine Frage, auch wenn sie es fast so klingen lässt.

Alleine diese Aussage ihrer­seits bestärkt mein ungutes Gefühl nur noch mehr und ich kann nicht verhin­dern, das mir kurz nicht einfallen will, was ich darauf erwi­dern soll.

„Äh…ja?“

Es müsste doch nichts Beson­deres sein. Ich stehe doch jeden Tag auf und gehe zur Schule, abge­sehen vom Wochen­ende natür­lich, jedoch bin ich da auch meis­tens bei Titus und nicht zuhause. Dass ich bei Titus aber mitt­ler­weile schon halb einge­zogen bin, sollte meine Mutter auch wissen. Genauso wie sie wissen sollte, dass er wie jeden Morgen an der Kreu­zung auf mich wartet und ich deshalb nicht sonder­lich viel Zeit für ein langes Gespräch habe. Abge­sehen von der Tatsache, dass meine Mutter eigent­lich auch noch schlafen sollte.

„Wie…geht es dir?“

Die nächste Frage ihrer­seits sickert erst nach und nach zu meinem Hirn durch. Was habe ich verpasst, dass sie plötz­lich morgens halb zerstört in der Küche sitzt und mich danach fragt, wie es mir geht?

„Gut? Aber soll­test du nicht eigent­lich noch schlafen?“

Mit meiner Gegen­frage scheint sie nicht klar­zu­kommen. Etwas in ihrem Ausdruck verän­dert sich, wird teil­nahms­loser und noch beun­ru­hi­gender als eh schon. Sie wirkt fast schon so, als hätte sie erwartet, dass ich den Grund für ihr frühes Aufstehen wissen müsste, und jetzt erst reali­siert, dass ich doch keine Ahnung habe.

Diese ganze Situa­tion wird mit einem Mal noch beklem­mender, als sie eh schon ist. Ich habe etwas verpasst. Etwas Wich­tiges, denn sonst würde meine Mutter mich jetzt nicht noch besorgter ansehen. Und es muss so wichtig sein, dass es etwas Grund­le­gendes verän­dert hat.

Ein paar Sekunden lang warte ich auf ihre Antwort. Ein paar Minuten lang warte ich auf ihre Antwort. Eine Antwort, die ihre Lippen jedoch nie verlässt. Alles, was ich als Antworte bekomme, ist dieser Blick voller Besorgnis und Angst.

Angst?

Ich schüt­tele den Kopf. Nicht nur um meine Verwir­rung abzu­schüt­teln, sondern auch um meine Gedanken wieder aufs Wesent­liche zu konzen­trieren. Den Blick meiner Mutter igno­rie­rend, gehe ich ein Stück weit in die Küche hinein und öffne den Schrank zu den Gläsern. Bevor ich losgehe, sollte ich noch eben etwas trinken. Bevor Titus mir wieder vorwirft, ich würde gar nichts am Morgen zu mir nehmen.

„Tut mir leid Mama, aber ich muss langsam los. Titus wartet auf mich, er hat mir eben schon ganz genervt geschrieben und du weißt doch, wie schnell er gereizt ist, wenn man ihn lange warten lässt.“

Eines der Gläser aus dem Schrank in der Hand, drehe ich mich zu den Saft­fla­schen neben der Mikro­welle. Trauben- oder Apfelsaft?

Die beste Methode wird es sein, meine Mutter einfach später danach zu fragen. Wahr­schein­lich hat sie sich dann auch wieder beruhigt.

In dem Moment, wo ich mich gerade für den Apfel­saft entschieden habe, gerade deshalb, weil Titus den am gesün­desten findet und ich ihm dann gleich aufti­schen kann, ich hätte das Glas mit dem gesunden Zeug noch trinken müssen, bevor ich losgehe, höre ich das Schluchzen.

Das Schluchzen, was etwas in meinem Inneren gefrieren lässt.

Ich kenne dieses Schluchzen.

Es ist mein Schluchzen.

Mit einem lauten Klirren zerspringt das Glas auf dem Boden. Scherben schlit­tern über die Fliesen, funkeln für einen kurzen Moment in dem Licht der Lampen auf und bleiben dann leblos, zerbro­chen, zerdep­pert liegen.

Ein einfa­cher Gedanke. Dieser einfache Gedanken. Diese eine Erinnerung.

Apfel­saft.

Titus trank jeden Morgen eine Flasche Apfelsaft.

Ich höre meine Mutter aufspringen, höre das Kratzen des Stuhles, der heftig zurück­ge­stoßen wird, höre ihren erschro­cken Aufschrei, als das Glas auf dem Boden zerspringt.

Ich sehe meine Mutter zu mir blicken. Sehe, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen. Sehe, wie sie mich ansieht, als würde sie hoffen, es würde mir besser gehen.

Doch ich weiß es wieder.

Ich weiß wieder, was ich vergessen, was ich verdrängt habe.

Ich weiß wieder, dass Titus nicht mehr an der Kreu­zung auf mich warten wird. Mir nicht mehr jeden Geburtstag erzählen wird, meine Oma würde die Kissen bunkern. Mir nicht mehr jeden Morgen erzählen wird, wie gesund er Apfel­saft findet.

Ich weiß wieder, wessen Hand­schrift das auf dem Umschlag ist.

Es ist Titus` Handschrift.

Titus` Abschied.

Ein Abschied, dem ich nicht glauben kann.

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