Auch in diesem Jahr wurden wieder die Gewinner des Schreibwettbewerbs der Fachoberschulen und Berufsfachschulen der Dr. Buhmann Schule gekürt. Die Gewinnerin Lina Jacobs konnte die Jury mit „Bahnfahrt“ begeistern.
Am diesjährigen Schreibwettbewerb der Dr. Buhmann Schule nahmen insgesamt 8 Schülerinnen und Schüler teil. Bevor es zu der traditionsreichen Siegerehrung kam, gab es für alle Teilnehmer rund um den Schreibwettbewerb kleine weihnachtliche Snacks sowie einen Sektempfang.
Die Jury bildeten Karl-Ludwig Baader, ehemaliger Kulturredakteur der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, Dr. Marianne Wurth, Heike Williams, beides Lehrerinnen und Christina Gallus, Schulleiterin der Dr. Buhmann Schule. Außerdem waren auch in diesem Jahr wieder zwei Schülerinnen der Dr. Buhmann Schule teil der Jury. Wir bedanken uns bei Anna-Lena Steinmann und Leah Könnecke für die großartige Unterstützung.
Am Ende war es eine schwierige Entscheidung: Die Juroren entschieden sich für die Gewinnergeschichten von Esatou Lina Davies (Platz 3), Dion-Noel Schäfer (Platz 2) und „Bahnfahrt“ von Lina Jacobs (Platz 1). Neben einer Urkunde und der Schoko-Eule für alle Teilnehmer, erhielten die drei Treppchen-Sieger Geldpreise.
Abgerundet wurde die Veranstaltung mit netten Gesprächen und einem Brötchen- und Stollenbuffet in unserer Cafeteria.
Den Siegertext gibt es hier zum Nachlesen:
Bahnfahrt von Lina Jacobs
Ich stecke meine Kopfhörer in die Ohren und öffne Spotify. Ich brauche Musik.
Warum habe ich mich nicht so verkleidet, wie ich es geplant hatte? In meinem lustlosen Versuch eines Vampirkostüms (nur meine weiß gepuderte Haut und meine Kontaktlinsen verraten, dass ich andeuten möchte, auch irgendwie Teil von Halloween zu sein) sitze ich einem Einhorn mit blutverschmiertem Mund gegenüber in der Bahn.
Lustlose Versuche, Teil von etwas zu sein. Hört sich nach mir an. Wenigstens bin ich gut darin, mich selbst eindrucksvoll in Frage zu stellen. Irgendeine billige Weinflasche liegt auf dem Boden der Bahn in einem roten Rinnsal. Es ist drei Uhr morgens und ein bisschen kalt. Leise Tränen laufen aus meinen Augen. Diese verdammten Kontaktlinsen.
Wo war ich überall heute Abend? Nur unter „Künstlern“. Alle sind irgendwie Künstler. Und ich? Alle verfolgen ihre Träume und leben. Nicht dem System unterwerfen und was Eigenes machen. Seine eigene Gruppe gründen, wenn es keine gibt, in die man passt. Lauter kleine Gruppen in einer großen Gesellschaft. Die auch nur eine Gruppe ist auf diesem Kontinent, der auch nur eine Gruppe ist auf dieser Welt. Aber in meiner Gruppe vermischen sich die Gruppen aus der Welt.
Oder ist das die Illusion meiner Gruppe?
Warum hebt eigentlich niemand die Flasche auf? Meine Augen bewegen sich hin und her. Die anderen haben sich anscheinend mit dem Weinflaschenproblem abgefunden.
Nach einem Abend voller Komplexe und Angst möchte ich eigentlich nur nach Hause, ins Bett. Die Bahn fährt los und der Wein zieht blutrote Fäden auf dem Boden. Passt. Sauerei.
Zu viele Gedanken. Ich muss lernen loszulassen. Mich im Hier und Jetzt zu befinden. Was mache ich nach der Schule? Studium? Aber was? Mich auf die Musik konzentrieren? Dafür müsste ich mehr Energie ins Üben stecken, mich vernetzen, präsent sein. An mich glaubt doch eh keiner, warum investieren Musiker überhaupt noch ihre Zeit und Energie in mich und meine Projekte? Warum spielen die überhaupt noch mit mir? Naja, die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt. Riecht so, als wäre der Rotwein auf dem Boden ein trockener. Ein bitterer Geschmack in meinem Mund, ein Kloß in meinem Hals.
Wie wäre es damit, als ersten Schritt Selbstbewusstsein zu entwickeln? Nur nicht in der Bahn weinen. Aber ich reflektiere mich, das ist gut. Wir müssen uns alle mehr reflektieren. Und unsere Umwelt. Und uns in unserer Umwelt.
Es klirrt –ach ja, die Flasche- die Bahn hält wieder.
Jack Sparrow setzt sich neben das Horror-Einhorn, das auch die Weinflasche fokussiert hat, und grinst mich schüchtern an. Ich reiße meine Augen auf, damit man sieht, dass ich verkleidet bin. Eigentlich auch scheißegal.
Der nächste Song beginnt. Dur und Moll kann ich raushören. Was heißt das jetzt? Auch nichts Konkretes. Ein Piano steht bei mir zuhause. Ich brauche Unterricht. Aber der ist teuer. Und hab ich neben der Schule überhaupt Zeit? Ausreden.
Die Flasche berührt Jack Sparrows Stiefel. Sein Blick verlässt mich und die Flasche hat nun auch seine Aufmerksamkeit.
Bin ich bereit, mein Leben einem Traum zu opfern? Bin ich bereit, meinen Traum zu leben? Was ist denn das bitteschön überhaupt für ein Traum? Gerade eher ein Alptraum.
Was, wenn es nicht klappt? Werde ich nie herausfinden, wenn ich es nicht probiere, oder? Ich hasse diese therapeutischen Kalendersprüche!
Jack Sparrow guckt mich wieder an, wo soll ich denn jetzt hingucken? Warum guckt der denn so? Findet der meine Verkleidung auch lächerlich? Der hat bestimmt schon gestern angefangen sich fertig zu machen. Professionelles Kostüm! Ausgeliehen?
Ich muss auch professioneller werden. Haben die anderen überhaupt noch Lust, mit jemandem so Unprofessionellem wie mir zusammenzuarbeiten? Teilen wir unsere Träume?
Hat man überhaupt einen Traum oder mehrere? Der Song „Time is Love“ von B. Alone läuft. Ich nicke mit und hab wieder Tränen in den Augen. Zu nichts und wieder nichts werde ich es in meinem Leben bringen.
Ich könnte jobben gehen nach der Schule und eine Orientierungsphase einlegen. Mich auch als Jack Sparrow verkleiden nächstes Jahr. Oder Elizabeth Swann? Nee, ich brauch wirklich Orientierung! Rollenbilder werden überbewertet.
Die Flasche hat mittlerweile – dank physikalischer Kräfte, denen sie an ihrem Standort Bahnboden unterliegt – ein eindrucksvolles Kunstwerk gleich für mehrere Sinne zustande gebracht. Nicht zu übersehen und zu überhören. Ich rieche es. Jack Sparrow riecht es. Das Einhorn sieht aus, als würde es die Verschwendung des Vinos als Farbe betrauern. Bei der nächsten Station muss ich aussteigen. Der Song geht aus und die Werbung bricht an, damit ich die nächste halbe Stunde wieder Musik hören kann aus irgendeiner Playlist, die meiner Stimmung entsprechen soll. Sogar sechsmal darf man einen Song überspringen, falls dem nicht so ist. Ich weiß doch selbst nicht, was mit mir los ist, woher soll das bitte der Algorithmus dieser App können.
Zuhause werde ich mich in mein Bett legen. Ich kann nicht mehr. Alles in mir schreit nach Stille und Ruhe. Ich kann mein eigenes Elend nicht mehr ertragen. Gleich werden bestimmt meine Möchtegern-Vampir-Kontaktlinsen weggespült.
Ich mache meinen Mantel zu und warte auf den passenden Moment, um rechtzeitig aufzustehen. Der nächste Song aus dem Shuffle fängt an. Neuerscheinungen. Warte mal, hä? Ich brauche einen Moment, um mich zu orientieren. Dieses Lied ist von mir.
Das bin ich! Das habe ich geschrieben! Ich höre mir zu. Ich hab was zu sagen. Ich stehe auf. Ich, ich, ich. Ich muss lächeln. Die Angst und Verzweiflung der letzten 10 Minuten verpuffen auf einen Schlag. Mit einem Song. Meinem Song.
Meine Schuhe quietschen und kleben am Bahnboden. Mit roten Fußspuren beende ich den Prozess, in dem sich die Weinflasche befindet, und nehme sie in die Hand. Steige aus der Bahn. Jack Sparrow nickt mir mit seinem schiefen Lächeln im Gesicht zum Abschied nach. Stolz lächel ich zurück. Mit meinem Lied auf den Ohren werfe ich die klebrige Flasche in den Müll und entscheide mich dazu, nie wieder Alkohol zu trinken.