• 9. Dezember 2019

Nächster Halt: Siegerin!

Nächster Halt: Siegerin!

Nächster Halt: Siegerin! 1024 538 Dr. Buhmann Schule & Akademie in Hannover

Auch in diesem Jahr wurden wieder die Gewinner des Schreib­wett­be­werbs der Fach­ober­schulen und Berufs­fach­schulen der Dr. Buhmann Schule gekürt. Die Gewin­nerin Lina Jacobs konnte die Jury mit „Bahn­fahrt“ begeis­tern.

Am dies­jäh­rigen Schreib­wett­be­werb der Dr. Buhmann Schule nahmen insge­samt 8 Schü­le­rinnen und Schüler teil. Bevor es zu der tradi­ti­ons­rei­chen Sieger­eh­rung kam, gab es für alle Teil­nehmer rund um den Schreib­wett­be­werb kleine weih­nacht­liche Snacks sowie einen Sektempfang.

Die Jury bildeten Karl-Ludwig Baader, ehema­liger Kultur­re­dak­teur der „Hanno­ver­schen Allge­meinen Zeitung“, Dr. Mari­anne Wurth, Heike Williams, beides Lehre­rinnen und Chris­tina Gallus, Schul­lei­terin der Dr. Buhmann Schule. Außerdem waren auch in diesem Jahr wieder zwei Schü­le­rinnen der Dr. Buhmann Schule teil der Jury. Wir bedanken uns bei Anna-Lena Stein­mann und Leah Könnecke für die groß­ar­tige Unterstützung.

Am Ende war es eine schwie­rige Entschei­dung: Die Juroren entschieden sich für die Gewin­ner­ge­schichten von Esatou Lina Davies (Platz 3), Dion-Noel Schäfer (Platz 2) und „Bahn­fahrt“ von Lina Jacobs (Platz 1). Neben einer Urkunde und der Schoko-Eule für alle Teil­nehmer, erhielten die drei Trepp­chen-Sieger Geldpreise.

Abge­rundet wurde die Veran­stal­tung mit netten Gesprä­chen und einem Bröt­chen- und Stol­len­buffet in unserer Cafeteria.

Den Sieger­text gibt es hier zum Nachlesen:

Bahn­fahrt von Lina Jacobs

Ich stecke meine Kopf­hörer in die Ohren und öffne Spotify. Ich brauche Musik.

Warum habe ich mich nicht so verkleidet, wie ich es geplant hatte? In meinem lust­losen Versuch eines Vampir­kos­tüms (nur meine weiß gepu­derte Haut und meine Kontakt­linsen verraten, dass ich andeuten möchte, auch irgendwie Teil von Hallo­ween zu sein) sitze ich einem Einhorn mit blut­ver­schmiertem Mund gegen­über in der Bahn.

Lust­lose Versuche, Teil von etwas zu sein. Hört sich nach mir an. Wenigs­tens bin ich gut darin, mich selbst eindrucks­voll in Frage zu stellen. Irgend­eine billige Wein­fla­sche liegt auf dem Boden der Bahn in einem roten Rinnsal. Es ist drei Uhr morgens und ein biss­chen kalt. Leise Tränen laufen aus meinen Augen. Diese verdammten Kontaktlinsen.

Wo war ich überall heute Abend? Nur unter „Künst­lern“. Alle sind irgendwie Künstler. Und ich? Alle verfolgen ihre Träume und leben. Nicht dem System unter­werfen und was Eigenes machen. Seine eigene Gruppe gründen, wenn es keine gibt, in die man passt. Lauter kleine Gruppen in einer großen Gesell­schaft. Die auch nur eine Gruppe ist auf diesem Konti­nent, der auch nur eine Gruppe ist auf dieser Welt. Aber in meiner Gruppe vermi­schen sich die Gruppen aus der Welt.

Oder ist das die Illu­sion meiner Gruppe?

Warum hebt eigent­lich niemand die Flasche auf? Meine Augen bewegen sich hin und her. Die anderen haben sich anschei­nend mit dem Wein­fla­schen­pro­blem abgefunden.

Nach einem Abend voller Komplexe und Angst möchte ich eigent­lich nur nach Hause, ins Bett. Die Bahn fährt los und der Wein zieht blut­rote Fäden auf dem Boden. Passt. Sauerei.

Zu viele Gedanken. Ich muss lernen loszu­lassen. Mich im Hier und Jetzt zu befinden. Was mache ich nach der Schule? Studium? Aber was? Mich auf die Musik konzen­trieren? Dafür müsste ich mehr Energie ins Üben stecken, mich vernetzen, präsent sein. An mich glaubt doch eh keiner, warum inves­tieren Musiker über­haupt noch ihre Zeit und Energie in mich und meine Projekte? Warum spielen die über­haupt noch mit mir? Naja, die Hoff­nung stirbt ja bekann­ter­maßen zuletzt. Riecht so, als wäre der Rotwein auf dem Boden ein trockener. Ein bitterer Geschmack in meinem Mund, ein Kloß in meinem Hals.

Wie wäre es damit, als ersten Schritt Selbst­be­wusst­sein zu entwi­ckeln? Nur nicht in der Bahn weinen. Aber ich reflek­tiere mich, das ist gut. Wir müssen uns alle mehr reflek­tieren. Und unsere Umwelt. Und uns in unserer Umwelt.

Es klirrt –ach ja, die Flasche- die Bahn hält wieder.

Jack Sparrow setzt sich neben das Horror-Einhorn, das auch die Wein­fla­sche fokus­siert hat, und grinst mich schüch­tern an. Ich reiße meine Augen auf, damit man sieht, dass ich verkleidet bin. Eigent­lich auch scheißegal.

Der nächste Song beginnt. Dur und Moll kann ich raus­hören. Was heißt das jetzt? Auch nichts Konkretes. Ein Piano steht bei mir zuhause. Ich brauche Unter­richt. Aber der ist teuer. Und hab ich neben der Schule über­haupt Zeit? Ausreden.

Die Flasche berührt Jack Spar­rows Stiefel. Sein Blick verlässt mich und die Flasche hat nun auch seine Aufmerksamkeit.

Bin ich bereit, mein Leben einem Traum zu opfern? Bin ich bereit, meinen Traum zu leben? Was ist denn das bitte­schön über­haupt für ein Traum? Gerade eher ein Alptraum.

Was, wenn es nicht klappt? Werde ich nie heraus­finden, wenn ich es nicht probiere, oder? Ich hasse diese thera­peu­ti­schen Kalendersprüche!

Jack Sparrow guckt mich wieder an, wo soll ich denn jetzt hingu­cken? Warum guckt der denn so? Findet der meine Verklei­dung auch lächer­lich? Der hat bestimmt schon gestern ange­fangen sich fertig zu machen. Profes­sio­nelles Kostüm! Ausgeliehen?

Ich muss auch profes­sio­neller werden. Haben die anderen über­haupt noch Lust, mit jemandem so Unpro­fes­sio­nellem wie mir zusam­men­zu­ar­beiten? Teilen wir unsere Träume?

Hat man über­haupt einen Traum oder mehrere? Der Song „Time is Love“ von B. Alone läuft. Ich nicke mit und hab wieder Tränen in den Augen. Zu nichts und wieder nichts werde ich es in meinem Leben bringen.

Ich könnte jobben gehen nach der Schule und eine Orien­tie­rungs­phase einlegen. Mich auch als Jack Sparrow verkleiden nächstes Jahr. Oder Eliza­beth Swann? Nee, ich brauch wirk­lich Orien­tie­rung! Rollen­bilder werden überbewertet.

Die Flasche hat mitt­ler­weile – dank physi­ka­li­scher Kräfte, denen sie an ihrem Standort Bahn­boden unter­liegt – ein eindrucks­volles Kunst­werk gleich für mehrere Sinne zustande gebracht. Nicht zu über­sehen und zu über­hören. Ich rieche es. Jack Sparrow riecht es. Das Einhorn sieht aus, als würde es die Verschwen­dung des Vinos als Farbe betrauern. Bei der nächsten Station muss ich aussteigen. Der Song geht aus und die Werbung bricht an, damit ich die nächste halbe Stunde wieder Musik hören kann aus irgend­einer Play­list, die meiner Stim­mung entspre­chen soll. Sogar sechsmal darf man einen Song über­springen, falls dem nicht so ist. Ich weiß doch selbst nicht, was mit mir los ist, woher soll das bitte der Algo­rithmus dieser App können.

Zuhause werde ich mich in mein Bett legen. Ich kann nicht mehr. Alles in mir schreit nach Stille und Ruhe. Ich kann mein eigenes Elend nicht mehr ertragen. Gleich werden bestimmt meine Möch­te­gern-Vampir-Kontakt­linsen weggespült.

Ich mache meinen Mantel zu und warte auf den passenden Moment, um recht­zeitig aufzu­stehen. Der nächste Song aus dem Shuffle fängt an. Neuerschei­nungen. Warte mal, hä? Ich brauche einen Moment, um mich zu orien­tieren. Dieses Lied ist von mir.

Das bin ich! Das habe ich geschrieben! Ich höre mir zu. Ich hab was zu sagen. Ich stehe auf. Ich, ich, ich. Ich muss lächeln. Die Angst und Verzweif­lung der letzten 10 Minuten verpuffen auf einen Schlag. Mit einem Song. Meinem Song.

Meine Schuhe quiet­schen und kleben am Bahn­boden. Mit roten Fußspuren beende ich den Prozess, in dem sich die Wein­fla­sche befindet, und nehme sie in die Hand. Steige aus der Bahn. Jack Sparrow nickt mir mit seinem schiefen Lächeln im Gesicht zum Abschied nach. Stolz lächel ich zurück. Mit meinem Lied auf den Ohren werfe ich die kleb­rige Flasche in den Müll und entscheide mich dazu, nie wieder Alkohol zu trinken.

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